„sainantschai“ – das ist Quechua und bedeutet so viel wie „es ist wie es ist“. Quechua ist eine der rund 150 Sprachen der indigenen Bevölkerung in Peru: 40% der Bevölkerung spricht sie auch heute noch. Quechua ist ein wichtiger Bestandteil der heutigen indigenen Kultur im Hochland Perus. Die Sprache ist ein „Überbleibsel“ aus der Inka-Zeit und wurde von Generation zu Generation überliefert.
Doch nicht immer wurde die Sprache als bedeutender Teil des Landes anerkannt – genau wie die indigene Bevölkerung selbst. Um zu verstehen, wie das Volk der Quechua heute in Peru lebt und wie sich die Kultur entwickelt hat, muss man ziemlich weit in der Geschichte des Landes zurückgehen.
Das Reich der Inka
Die bekannteste Epoche der Geschichte Perus, wenn nicht sogar in ganz Südamerika, ist die Zeit der Inka. Die Inka herrschten von ca. 1200 bis 1532 n. Chr. (also bis zur Eroberung Spaniens) über das Land, das wir heute als Peru kennen. Schon damals sprachen die Menschen im Inka-Reich Quechua; sie bezeichneten es als runa simi, also die „Sprache der Menschen“.
Zur Inka-Zeit wurden die zentralen Anden von verschiedenen Gruppen besetzt, die die Vorfahren der heutigen Quechua-Völker sind. Aber auch schon vor 800 Jahren unterschieden sich die Völker. Sie hatten ihre eigenen Mythen und Herkunftsorte, ihre eigene Kleidung und Institutionen und sprachen verschiedene Varianten des Quechua.
Bezeichnend für die Völker war, wie heute auch, die Arbeit in der Landwirtschaft und Viehzucht, in der Fischerei oder auch im Handwerk und im Bergbau. Vor der Kolonialisierung durch die Spanier war die Quechua-Kultur sogar eine der fortschrittlichsten in der westlichen Hemisphäre.
Der erste Bürgerkrieg
Allerdings schon bevor die Spanier in Peru ankamen, wurde die Andenbevölkerung drastisch verringert. Es gab mehrere Epidemien, unter denen das gesamte Inka-Reich litt. Auch der Herrscher und sein Nachfolger starben daran. Ein anderer Sohn wurde der neue Sapa-Inka („einziger Inka“) – allerdings wollte sich ihm sein Halbbruder nicht unterordnen. Ein dreijähriger Bürgerkrieg folgte, in dem die Quechua-Völker gegeneinander kämpften. Viele Historiker sehen das als einen Beweis dafür, dass die Völker schon damals verschiedene ethnische und politische Interessen hatten und sich nur mit drastischen Maßnahmen von der zentralen Regierung beherrschen ließen.
Eroberung durch Spanien
Durch den Bürgerkrieg geriet das Land in große Unsicherheit. Die uneingeschränkte Autorität der Inka-Herrschaft wurde angezweifelt, die Völker wurden immer unzufriedener mit der Regierung. Sie sahen in der Instabilität des Landes eine Chance, sich von dem Inka-Regime zu befreien, was zu Aufständen in der Bevölkerung führte.
Der spanische Konquistador Francisco Pizarro landete inmitten der Unruhen im April 1532 im Reich der Inka und nutzte die Situation, um das Land zu erobern. Er ließ alle Inka-Herrscher ermorden und gründete 1535 das heutige Lima als neue Hauptstadt.
Ausbeutung der Indigenen in der Kolonialzeit
Die Kolonialzeit brachte viele Änderungen mit sich – besonders für die Quechua-Völker haben sich die wirtschaftlichen und politischen Institutionen sowie die Organisationsformen verändert. Die Spanier führten das sogenannte Encomienda System ein. Die Encomienda war eine Leistung, die die indigene Bevölkerung den Eroberern zu erbringen hatte – als „Entschädigung“ für die Dienste, die die spanische Krone durch ihre Eroberung geleistet hatte.
Kurz gesagt: Die Indigenen wurden schamlos ausgebeutet. Sie mussten unter unmenschlichen Bedingungen auf Plantagen und im Bergbau arbeiten und trugen oft gesundheitliche Schäden davon. Für die Spanier mussten sie außerdem unbekannte Pflanzen und Getreide anbauen, wodurch sie ihre eigene Lebensmittelversorgung zurückstellen mussten.
Verdrängung der indigenen Kulturen und Traditionen
Um die wirtschaftliche Kontrolle und die Verbreitung des Christentums zu erleichtern, wurden die Indigenen von ihren Dörfern in den Anden in größeren und bevölkerungsreicheren Orten untergebracht. Durch die Einführung des christlich-katholischen Glaubens entfernten sich die indigenen Einwohner immer weiter von ihren ursprünglichen kulturellen Werten und ihrer gesellschaftlichen Organisation.
Ihre eigenen Religionen und Kulturen wurden unterdrückt, meistens sogar verboten. Lokale Kultstätten wurden durch Kreuze und christliche Kirchen ersetzt, bis die traditionellen Kulturen teilweise komplett verschwanden. Allerdings zogen die „Apus“ (Götter oder Geister) in Form der Heiligen in die katholische Kirche ein. Bis heute ist Maria, die Mutter Gottes, auch gleichzeitig „Pacha Mamá“ (Mutter Erde), also die wichtigste weibliche Gottheit bei dem Volk der Quechua.
Durch Krankheiten, schwere Arbeit, Dienste an der Front und Gewalterfahrungen durch die Konquistadoren waren am Ende des 17. Jahrhunderts von ursprünglich zehn Millionen Indigenen nur noch 800.000 übrig.
Die Republik Peru
Knapp 300 Jahre später hatten sich die Quechua-Völker an das Kolonialsystem angepasst – auch wenn es keinerlei Vorteile für sie hatte. Als das Land am 28. Juli 1821 offiziell die Unabhängigkeit von Spanien erlangte und die Republik Peru ausgerufen wurde, verbesserte sich die Situation der Indigenen kaum. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde der größte Teil der Bevölkerung, der Quechua sprach, von Regierungsinstitutionen ausgeschlossen. Die indigenen Völker durften auch nicht wählen gehen.
Anerkennung der indigenen Bevölkerung
Erst im 20. Jahrhundert wurde die indigene Gemeinschaft staatlich anerkannt. 1970 ersetzte die Militärregierung den als abwertend betrachteten „indigenen“ Titel durch den des Bauern. Dadurch wurde verdeutlicht, dass die indigenen Völker einen wichtigen Beitrag für die Gemeinschaft leisten – besonders in der Landwirtschaft und Viehzucht.
Vor allem unter der Regierung von Juan Velasco Alvarado verbesserte sich die Situation der Ureinwohner. Alvarado weitete die Bildungsangebote in die ländlichen Gebiete aus und ließ Verkehrswege in abgelegenere Regionen bauen, sodass die Völker nicht mehr isoliert wurden. Mit der Verfassung von 1979 kam das Wahlrecht für Analphabeten und damit auch für einen Teil der Quechua-Bevölkerung: 22% der Menschen über 15 Jahre, deren Muttersprache Quechua ist, sind Analphabeten.
Die Zeit der Angst
1980 endete dieser Fortschritt aber schon wieder. Die kommunistische Partei „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad), die 1960 in den Hochanden gegründet wurde, hatte ihren Aufschwung. Ihr Ziel war es, die komplette Gesellschaftsordnung durch einen Volkskrieg zu stürzen. Zunächst wurde die Guerillabewegung gut aufgenommen: Sie wollten sich für die lokalen Gemeinschaften engagieren, sprachen Quechua und förderten Bildungsprojekte. Das änderte sich allerdings schnell.
Zunächst überfielen sie Polizeistationen und Dörfer, dann ermordeten sie politische Amtsinhaber. Die Bewegung massakrierte auch die indigene Landbevölkerung in den Bergregionen. Quechua-Bauern wurden brutal unterdrückt, die Frauen und Mädchen vergewaltigt und gequält und die Gemeindeführer hingerichtet – es reichte schon aus, wenn man verdächtigt wurde, mit den Regierungskräften zusammenzuarbeiten. Andersherum genauso: Wenn ein Quechua-Dorf unter Verdacht stand, die Guerillapartei zu unterstützen, wurde die indigene Bevölkerung vom staatlichen Militär gequält, vergewaltigt und umgebracht. Diese Zeit nannte man deshalb auch Zeit der Angst (manchay tiempo).
1992 konnten Polizei, Militär und Geheimdienst den Sendero Luminoso größtenteils besiegen. Kleinere Gruppen kämpften auf eigene Faust weiter und erst im Jahr 2015 wurden die letzten Geißeln der Guerillakämpfer befreit. Insgesamt fielen ca. 70.000 Menschen der terroristischen Guerillaorganisation zum Opfer, darunter ein erheblicher Anteil von Indigenen.
Die Situation der Quechua-Völker im heutigen Peru
Von der fortschrittlichen Kultur der Quechua ist nach all diesen traumatischen Ereignissen nicht viel übrig geblieben. In den abgelegenen Dörfern der Anden werden Ehen noch mit den Eltern und der Dorfgemeinschaft abgestimmt. Man gilt erst als erwachsen, wenn man in einer Partnerschaft lebt ist. Auch die Familienstrukturen sind oft schwierig: Viele Paare sind nicht offiziell verheiratet, was die Rechtssicherheit für Frau und Kinder stark einschränkt.
Mangelnde Bildung und daraus resultierende fehlenden Perspektiven führen in den Dorfgemeinschaften zu Alkoholismus und in vielen Fällen zu häuslicher Gewalt. Durch die hohe Armut in den abgelegenen Regionen sind viele Kinder chronisch mangel- und fehlernährt. Das hat erhebliche Folgen für die Gesundheit der Kinder. Im Jahr 2020 waren 41% der Kinder unter drei Jahren anämisch, das heißt sie litten an einem chronischen Mangel roter Blutkörperchen. Medizinische Versorgung ist kaum vorhanden.
Die Kinder, die von Geburt an Einschränkungen und Behinderungen haben, werden oft vernachlässigt oder sogar aus Scham verlassen. Viele Kinder haben keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen oder irgendeine Form von Bildung zu erhalten.
Unterstützung durch casayohana
In casayohana versuchen wir, diese Probleme zu bekämpfen und den indigenen Gemeinschaften in den Anden Perus eine Perspektive zu geben. Mit Bildungsangeboten für Jugendliche und Erwachsene, mit Pflege- und Ernährungsberatung, mit vielfältigen Therapieangeboten und Lebensbegleitung in vielen Lebensbereichen wollen wir die medizinische Versorgung sowie die Zukunftsperspektiven in der Region verbessern. Auch die Eltern bekommen bei uns regelmäßig Schulungen zu Themen wie Hygiene, Erziehung, politische Aufklärung und häusliche Gewalt.
Es ist allerdings noch viel zu tun. Besonders Frauen haben in indigenen Gemeinschaften eine untergeordnete Stellung und werden häufig Opfer von psychischer, physischer und vor allem sexueller Gewalt. Mehr Informationen dazu finden Sie im nächsten Artikel dieser Reihe über die Quechua-Völker in Peru.